Die Gottesmauer.

  O Mutter, wie stürmen die Flocken vom Himmel,
  Es wird uns in Schnee noch begraben,
  Und mehr noch als Flocken im Dorf ein Gewimmel
  Von Reutern, die reiten und traben.
  Hätten wir nur Brot im Haus,
  Macht' ich mir so viel nicht draus,
  Im Quartier ein Paar Reuter zu haben.“
 „„Es nachtet, o Kind, und die Winde sie wüthen,
  Geh schließe die Thür und die Laden,
  Gott wird vor dem Sturme der Nacht uns behüten
  Und auch vor den Feinden in Gnaden.
  Kind, ich bete, bete mit:
  Wenn uns Gott der Herr vertritt,
  So vermag uns der Feind nicht zu schaden““
„O Mutter, was soll nun das Beten und Bitten?
  Es kann vor den Reutern nicht helfen.
  Horcht, Mutter, die Reuter, sie kommen geritten,
  O hört, wie die Hündelein belfen.
  Geht zur Küch und rüstet ihr,
  Wenn sie kommen in's Quartier,
  Euch, so gut es will gehn, zu behelfen.“
 Die Mutter sitzet und geht nicht vom Orte,
  Der Keller ist leer und die Kuche;
  Sie hält sich am letzten, am einzigen Horte,
  Sie betet beim Lämplein im Buche:
  Eine Mauer um uns bau,
  Daß davor den Feinden grau'·
  Sie erlabt sich am tröstlichen Spruche.
„O Mutter, den Reutern zu Rasse zu wehren,
  Wer wird da die Mauer uns bauen?
  Sich lassen die Reuter, wohin sie begehren,
  Vor Wällen und Mauern nicht grauen.“
  „„Kind, bedenk als guter Christ:
  Gott kein Ding unmöglich ist,
  Wenn der Mensch nicht verliert das Vertrauen““
 Es betet die Mutter, es lachet der Knabe,
  Er horcht an verschlossener Pforte,
  Er höret die Reuter, sie reiten im Trabe,
  Es rennen die Bauern im Orte.
  Thüren krachen dort und hie.
  „Jetzt gewiß, jetzt kommen sie
  Auch an unsre, der Mutter zum Torte.“
 Nichts kommt an die Thür, als des Windes Gebrause,
  Ein Wehen und Weben und Wogen,
  Die Reuter, vertheilet von Hause zu Hause,
  Vor diesem voüber gezogen.
  Stiller wird es dort und hier.
  „Alle, scheint's, sind im Quartier,
  Und wir sind um die Gäste betrogen.“
„„Kind, möge dich Gott für den Frevel nicht strafen,
  Daß glaube dein Herz nicht bewohnet,
  Mit Reue bitt' ab ihm, und lege dich schlafen;
  Er hat mein Vertrauen belohnet.““
  „Ei, der Vetter Schultheiß hat
  Wohl, wie er schon manchmal that,
  Aus besonderer Gunst uns verschonet.“
 Einschlummert der Knabe mit weniger Ruhe,
  Die Mutter mit vollem Vertrauen.
  Drauf ist er schon wiederum auf in der Fruhe,
  Den Abzug der Reuter zu schauen.
  Wie er auf das Thürlein zieht,
  Sieht er, staunt, und staunt und sieht,
  Daß der Himmel doch Mauern kann bauen.
 Das hat nicht der Vetter, der Schultheiß, gerichtet;
  Die Diener des Himmels, die Winde,
  Sie haben im Stillen die Mauern geschichtet
  Statt Steinen aus Flocken gelinde,
  Eine Mau'r ums Häuslein ganz
  Steht gebaut aus Schnee'gem Glanz,
  Zum Beweis dem ungläubigen Kinde.
 Da muß es der Mutter nun sagen der Knabe,
  Er weckt sie vom Schlaf mit der Kunde.
  Da hört er die Reuter, sie ziehen im Trabe,
  Und möchte sie sehen zur Stunde.
  Doch zur Straf es ihm geschieht,
  Daß er nicht die Reuter sieht,
  Denn die Mauer sie steht in die Runde.
 Da macht es die Mutter zur Strafe dem Knaben,
  Den Weg durch die Mauer zu brechen.
  Da muß er nun schaufeln, da muß er nun graben;
  Und als er mit Hauen und Stechen
  Durch ist, sind die Reuter fort,
  Und die Nachbarn stehn am Ort,
  Die sich über das Wunder besprechen.