Nachtgesicht.

Fern abwärts vom Klang und vom Glanze der Nacht,
 Bei trübem verqualmendem Feuer,
 Was sitzen, entstiegen dem höllischen Schacht,
 Beisammen für drei Ungeheuer?
 Sie kenn' ich, soweit es erkennen sich läßt:
 Das dort ist der Hunger, das hier ist die Pest;
 Verzweiflung ist dieses, die dritte,
 Stumm in der zwei anderen Mitte.
Der Hunger so hager, so scheußlich die Pest,
 Verzweiflung so schrecklich erblassend,
 Sie feiern im Stillen ihr eigenes Fest,
 Einträchtig zum Tanz sich umfassend;
 Sie tanzen, umwirbelt von Qualm und von Rauch,
 Berauschend sich eins an des anderen Hauch,
 So drehn sie sich schwindelnd im Kreise,
 Und heulen zusammen die Weise:
Ein Flammen ist wach in der Nacht ein Getön,
 Es läßt uns in Ruhe nicht schlafen;
 Sie schüren und rühren die Feuer auf den Höhn,
 Daß Blitz' in die Augen uns trafen.
 So lasset uns feiern die Feier der Nacht,
 Mitfeiern die mächtige Feier mit Macht;
 Und laßt uns hier unten ermessen,
 Was jene dort oben vergessen.
Sie singen und klingen von Krieg und von Sieg,
 Vom Sieg, den die Welt sich erfochten,
 Deß Flamme, wie einmal zum Himmel sie stieg,
 Soll steigen in ewigen Dochten.
 Und stiege sie ewig und stiege sie hoch,
 Viel höher gestiegen auf ewig ist doch
 Der, welchen jetzt niemand will kennen;
 Wir wollen ihn preisen und nennen.
Napoleon, dem sich die Welt hat gebeugt,
 Napoleon, unser Berather,
 Napoleon, der du mit Blut uns gesäugt,
 Napoleon, Pfleger und Vater;
 Napoleon, dein in der klingenden Nacht
 Wird deiner von keinem in Ehren gedacht,
 Wenn wir es nicht thäien in Treuen?
 Es müsse die Treue dich freuen.
Napoleon, als du vom Weste zum Ost
 Ausfuhrst auf zerschmetterndem Wagen,
 Da hatten wir Futter, da hatten wir Kost
 An Leichen, die hinter ihm lagen.
 Satt fühlte der Hunger und Pest sich gesund,
 Verzweifelung pries dich mit lachendem Mund,
 Nun da du vom Wagen gefallen,
 Soll unsere Klage nicht schallen?
Und bist du geworden den Völkern ein Spott,
 Und willst du nicht wieder dich heben;
 Doch bleibst du, wie du uns gewesen ein Gott,
 Ein Gott uns, so lange wir leben.
 Was jauchzen sie droben in trunkenem Wahn?
 Ihr Schwestern wohlauf, und das Beste gethan!
 Geheul soll den Klang übertäuben,
 Daß ihnen die Haare sich sträuben.
 O weh, dort am Feuer, am äußersten, steht
 Ein Cherub mit flammendem Schwerte,
 Er winkt, daß im Winde das Heulen verweht,
 Und dräuet mit ernster Geberde.
 Wir sollen, wir dürfen zu dort nicht hinan;
 So rufen von hier wir, so rufen wir dann:
 Ist keiner von droben den Gästen,
 Der nahn hier will unseren Festen?
Ist keiner dort oben, dem still noch im Sinn
 Napoleon lebt und im Herzen?
 Ist keiner, deß Auge zum Dunkel sich hin
 Gern kehrt, weil die Feuer es schmerzen?
 Dort seid ihr fürwahr nicht am schicklichen Ort;
 So macht euch hernieder, so machet euch fort!
 Dort werden sie gern euch entlassen,
 Und hier wir mit Lust euch umfassen.
Ihr Schwestern! den Ruf hat wol mancher gehört;
 Zu kommen will keiner doch wagen.
 Sie eifern geschickt, wie das Herz sich empört,
 Den Jubel zur Schau doch zu tragen.
 Es treffe die Feigen ein schmählicher Tod,
 Sie sind uns zu unserem Feste nicht noth;
 Laßt, rühmlichen Tod zu erwerben,
 In enger Umarmung uns sterben!
Da faßte die beiden im Tanze so fest
 Verzweiflung mit wilden Gelüsten;
 Sie drückte den Hunger, sie drückte die Pest
 Zusammen, daß beide sich küßten.
 Sie starben, das ein' an des anderen Kuß:
 Da faßte Verzweiflung sich selber zum Schluß,
 Sich sammt den Gesellen zerfleischend,
 Und stürzt' in das Feuer sich kreischend.
Aufflackerte von der Verzweifelung Hauch
 Das Feuer, den Raub zu verzehren,
 Sich selbst und die Leichen verhüllend mit Rauch,
 Dem Himmel den Anblick zu wehren.
 Und als nun ein Lufthauch vertrieben den Dunst.
 Da sah ich verschwunden die scheußliche Brunst,
 Und hoch auf den Höhen die Flammen,
 Die heiter in's Blaue verschwammen.

Anmerkungen

Cherub

Ein Cherub, im Plural Cherubim, deutsch auch Cherubinen oder Cheruben war im Alten Orient und im Alten Testament ein geflügeltes Fabelwesen, zumeist mit Tierleib und Menschengesicht.