Der irre Wandersmann.

„Wo willst hinaus mein Wandersmann?“
  Wo ich noch nicht gewesen.
  Es ist noch eine lange Spann
  Von hier zu den Chinesen;
  Und wenn ich auch noch hinkäm' heut,
  So ist von dort zum Mond noch weit.
„Sag an, was hast du schon gesehn?
  " Was willst du sehn noch weiter?
  Man kann nicht nur auf Reisen gehn,
  Wie Hasen in die Kräuter.
  Laß hören, eh' du weiter gehst,
  Wie du auf's Reisen dich verstehst“
 Ich ging aus meiner Mutter Haus,
  Und ließ kein Glück dahinten:
  Rasch ging ich in die Welt hinaus,
  Und dachte, da wird sich's finden;
  Da fand es sich an keinem Ort,
  Und rasch und rascher ging ich fort.
 Da hab' ich manches wohl gesehn,
  Und manch's auch schon vergessen;
  Denn was ich schrieb auf's Pergamen,
  Verlor ich unterdessen,
  Und, hing er nicht an Rumpf und Bauch,
  Hätt' ich den Kopf verloren auch.
 Ich sah viel Flüsse mit großem Mund,
  Sie fraßen auf die kleinen;
  Das sahn die Fisch' auf ihrem Grund,
  Und thäten's auch so meinen.
  Der größte schnappt' auch nach mir zum Spaß;
  Ich gab ihm 'nen Tritt und schritt fürbaß.
 Ich sah manch hohen Kirchthurmknopf,
  Und unten Leutlein wallen;
  Er schüttelt' heimlich seinen Kopf,
  Als wollt's ihm nicht gefallen;
  Ich ging und merkte mir seinen Brauch,
  Und sagte nichts und schüttelt' auch.
 Ich sah manch altes Ritternest,
  Das sah mich an gar grausig;
  Es hatten Mäuslein drin ihr Fest,
  Und machten recht sich mausig;
  Sie fuhren mich wie Löwen an,
  Doch war zum Glück nicht groß ihr Zahn.
 Ich sah 'nen Berg, deß Haupt war starr,
  Und sein Geripp voll Zacken;
  Der ward gehobelt wie ein Narr,
  Um Straßen drein zu hacken;
  Ei, dacht' ich, es ist doch wohl erdacht,
  Daß man die Welt hübsch eben macht.
 Dann sah ich manchen tiefen Schacht,
  Und hörte Räder knarren;
  Sie schleppten aus der alten Nacht
  Das neue Gold auf Karren:
  Ich dacht' in meinem dummen Sinn,
  's ist doch nicht mein, so laßt's nur drinn.
 Dann kam ich in's Franzosenreich,
  Zur Kirche wollt' ich gehen;
  Sie sangen laut und allzugleich,
  Ich konnte kein Wort verstehen;
  Ich dachte: Wenn Gott nicht mehr versteht,
  So ist vergeblich eu'r Gebet.
 Dann sah ich in Italia
  Orangen an den Bäumen;
  Da dacht' ich, wär' mein Liebchen da,
  So wär' hier lieblich säumen;
  Da fiel mir eine auf den Kopf,
  Ich ging und dachte: Du bist ein Tropf.
 Dann sucht' ich auch das röm'sche Reich
  Zu Frankfurt auf dem Römer:
  Da fand ich Käufer arm und reich,
  Und groß und kleine Krämer;
  Doch als ich wollte den Kaiser sehn,
  Fand ich im Wirthshausschild ihn stehn.
 Auch durch ein Schlachtfeld fuhr ich dann,
  Voll Aehren stand's, voll fetten;
  Der Fuhrmann sprach: Da seht nur an,
  Hier wuchsen sonst nur Kletten;
  So ist das arme deutsche Blut
  Doch wenigstens zum Düngen gut.
 Und als ich durch den Spessart ging,
  Dacht' ich an alte Zeiten;
  Da rauschte in dem Busch ein Ding,
  Ich dachte, was wird's bedeuten?
  Es wird ein alter Deutscher sein?
  Da kam heraus ein alt wild Schwein.
 Dann ging nach Heidelberg mein Lauf,
  Das Faß dort auszutrinken.
  Sie führten mich den Berg hinauf,
  Ich sah das Faß mir winken,
  Es auszutrinken war nicht schwer,
  Das gute alte Faß war leer.
 Dann kam ich irrend überquer
  Bis an den alten Brocken;
  Da fand sich keine Hexe mehr,
  Kein Besen und kein Wocken;
  Ich dachte, der Teufel hat wohl recht,
  Es ist ihm auch die Welt zu schlecht.
 Dann kam ich wieder an den Main,
  An dem ich bin geboren;
  Ich dacht', ich spring' nur gleich hinein,
  Da raunt' er mir zu Ohren:
  „Ich trag' in den welschen Rhein dich hinab.“
  So mag ich dich auch nicht zum Grab.
 Und von dem Maine bin ich nun
  Hieher zu dir gekommen;
  Und was ich soll noch weiter thun,
  Das hätt' ich gern vernommen,
  Und wo das Land ich finden soll,
  Nach dem ich suche sehnsuchtsvoll.
„Mein Freund, du hast gar manches zwar
  Gesehn auf deiner Reise,
  Doch alles wild und wunderbar,
  Und nicht nach bester Weise;
  Ich fürchte, gehst du so weiter zu,
  Zerreißest du umsonst die Schuh.
 Glaub' einem Mann, der mehr gereist,
  Und weiter ist gekommen;
  Sieh alles mehr mit ruhigem Geist,
  So wird's, wie mir, dir frommen.
  Doch sag' mir erst, wo ist das Land,
  Dahin du willst, ob mir's bekannt?“
 Das Land, das Land, ich weiß es nicht,
  Wer weiß es mir zu nennen?
  Das anders ganz ist eingericht',
  Als wir die Länder kennen;
  Das Punkt für Punkt und Ziel um Ziel
  Von jedem ist das Widerspiel.
 Das Land, wo nicht der Tag zu hell,
  Zu dunkel nicht die Nächte,
  Die Zeit nicht läuft dem Herrn zu schnell,
  Zu langsam nicht dem Knechte;
  Wo nicht die Sonn' mich durstig saugt,
  Und Regen doch zum Trunk nicht taugt.
 Wo nicht, wenn man will über'n Fluß,
  Man suchen muß die Brücken,
  Und vor der niedern Thüre muß
  Ein großer erst sich bücken;
  An jedem Thor nicht fragt ein Wicht:
  Woher? wohin? -- ich weiß ja nicht.
 Das Land, wo Sonn- und Mondenschein
  Für Gold und Silber zählet,
  Und, wo ein Gast will kehren ein,
  Ihm nicht Bewirthung fehlet,
  Und wo man ihm zu Dank anschreibt
  Die Zehrung, die er schuldig bleibt.
 Das Land, wo nicht so früh das Laub,
  Und erst so spät die Birne;
  Wo's Glück hat Haar am ganzen Haupt,
  Und nicht blos an der Stirne,
  Daß, wenn's einmal vorüberrann,
  Man's noch von hinten fassen kann.
 Wo, wenn du willst vorübergehn
  An einem Rosenstocke,
  Der Dorn dich bittet, still zu stehn,
  Und hält dich fest beim Rocke,
  Und dich nicht eher weiter schickt,
  Bis du die Rosen abgepflückt.
 Wo nicht mein Auge beizt der Rauch,
  Und wässern macht die Zwiebel,
  Eh' diese nieder in den Bauch,
  Und jener steigt zum Giebel;
  Wo nicht bei Kresse Schierling wächst,
  Und Pilz dem Eichenbaum zunächst.
 Wo Menschen zu verjüngen sind,
  Wenn man sie stutzt, wie Hecken;
  Und man aus Einem zwei gewinnt,
  Zerhaut man sie wie Schnecken;
  Und wo man hölzerne Köpfe kauft,
  Wenn man die fleischernen abgerauft.
 Wo nicht der Wolf der Schafe Hirt,
  Der Fuchs der Taubenwächter,
  Der Bock der Gärtner, Gei'r der Wirth,
  Und Vielfraß ist der Pächter;
  Wo nicht die Frösch' im Pfuhl der Chor,
  Ihr Prediger der Storch im Rohr.
 Wo Baumwoll an den Bäumen wächst,
  Zu stopfen in die Ohren,
  Um von Sirenen unbehext
  Zu bleiben und von Thoren;
  Und wo man eine Brill' erfand,
  Durch die man sehn kann mit Verstand.
 Wo Feu'r ist hinter jedem Rauch,
  In jeder Hüls' ist Krütze,
  Ein Herz ist ober jedem Bauch,
  Ein Kopf in jeder Mütze;
  Und wo man sicher wetten kann,
  Wer Hosen trägt, der ist ein Mann.
 Wo Zeisig nicht und Grasemück',
  Und Kukuk, Fink' und Spatzen
  In eigner Weis' auf gutes Glück
  All durcheinander schwatzen,
  Und Staaren plappern weit und breit
  Französisch mit Geläufigkeit.
 Kurz, wo gar nichts zu hören ist,
  Das einer kann verübeln,
  Zu sehn nichts und zu finden ist,
  Drob einer noch kann grübeln,
  Wo ganz und gar nichts ist, daran
  Ein laun'ger Fuß sich stoßen kann.
 Und wo die Luft so zauberisch
  Gestimmt ist, daß wenn stöhnen
  Ein aufgethaner Mund will, frisch
  Es wird zu Jubeltönen,
  So daß ich selbst, mir zum Verdruß,
  Nicht klagen kann, und schweigen muß.
 Und wenn du kennest dieses Land,
  Wie du wirst alles kennen,
  Zeig' mir den Weg nur mit der Hand,
  Du brauchst nicht mit zu rennen;
  Dahin will ich zu dieser Frist,
  Und du kannst bleiben, wo du bist.
„Mein Freund, ich habe lang und breit
  Bisher dich reden lassen,
  Um gründlich mit Gemächlichkeit
  Dich und dein Thun zu fassen;
  Und jetzt gefasset hab' ich dich;
  Hör' meinen Trost: du dauerst mich.
 Das Land, nach dem du suchest, steht
  Auf keinen Länderkarten,
  Und auf das Schiff, das dorthin geht,
  Kannst du hier lange warten:
  Das Land, ich hab' es wohl gewahrt,
  Ist nichts als eine Redensart.
 Doch weil ich sehe, daß du doch
  Nichts nutzen wirst auf Erden;
  So sag' ich dir, ein Land giebt's noch
  Für deiner Art Beschwerden;
  Zu diesem Land ist nur ein Schritt,
  Wer ihn will gehn, ich geh' nicht mit.
 Wo über jenen Mauerrand
  Die hölzernen Kreuze dorten
  Herüberblicken, zu dem Land
  Stehn offen dort die Pforten;
  Und wer nur in die Pforte trat,
  Der findet dann von selbst den Pfad.
 Das ist ein Land nach deinem Sinn,
  Denn nichts zu sehn, zu hören,
  Und nichts zu finden ist darin
  Um einen Narrn zu stören:
  Ganz unbeschwert ist drin zu ruhn;
  Leb' wohl, ich hab' nun mehr zu thun!“
 Du hast, o Freund, mich wunderbar
  Erbaut durch deine Weise.
  Ich seh', wie leicht schon längst es war
  Zu schließen meine Reise;
  Doch hab' ich noch nicht Lust zum Schluß,
  Weil noch nicht ganz entzwei mein Fuß.
 Auf meiner alten krummen Bahn
  Will ich denn weiter suchen,
  Wenn mich auch sonst nichts trösten kann,
  Als auf den Weg zu fluchen;
  Nimm auch zum Abschied einen Fluch:
  Geh' heim, mein Freund, und schreib' ein Buch!
 Wenn aber nach dem kürzern Pfad
  Mich einmal sollte lüsten,
  Find' ich schon ohne deinen Rath
  Ihn auch auf fremden Küsten;
  Da, wie ich hör', an jedem Ort
  Dergleichen Mauern stehn wie dort.