Im Reisewagen.

Auch die Pferde, neubelebt,
 Ziehn des Wagens schwere Last.
 Da vor Augen ihnen schwebet
 Heim'scher Stall und nächt'ge Rast.
Wie sie sich geduldig schleppen,
 Laß geduldig schleppen dich
 Durch die letzten öden Steppen;
 Heimath, Nachtruh, nähert sich.
Silbermondglanz ausgegossen
 Macht unkenntlich das Gefild;
 Zu phantast'schen Flügelrossen
 Wird der Pferde Schattenbild,
Der bepackte Reisewagen
 Zu gethürmtem Wolkenbau,
 Der im Innern scheint zu tragen
 Eine Schaar von Geistern grau.
Bin ich's selber mit den Meinen,
 Was mir dünkt so geisterhaft?
 Nur in müden Arm' und Beinen
 Fühl' ich noch die Lebenskraft.
Aus der Fern' ein Uhu jammert,
 Und ein Menschenschatten rennt
 Hinter'm Wagen, angeklammert
 Jetzt, und jetzt davon getrennt.
Wenig gleicht er einem Diebe,
 Der Gefahr dem Koffer droht;
 Ist es doch alsob er schiebe!
 Denn das thut dem Fuhrwerk Noth.
Oder will den Halt erfassen
 Einer, dem versagt der Schritt,
 Und der sich will schleppen lassen
 Bis zum nächsten Dorfe mit?
Wenn im Zorn der Fuhrmann schwinget
 Seine Peitsche, weicht er schnell;
 In der nächsten Weile springet
 Wieder bei der Nachtgesell.
Meiner Kinder eines gaffet
 Die Gestalten draußen an,
 Bis die Augen sanft erschlaffet
 Sich dem Schlummer zugethan.
Neige sacht ihn auf die Seite,
 Wo kein Sturz zu fürchten ist!
 Und im Dunkeln auch bereite
 Jedem andren sein Genist;
O wieviel geduld'ge Schafe
 Gehn in eines Stalles Wand!
 Die Geduld kommt mit dem Schlafe,
 Wie mit Jahren der Verstand.
Einer an des Bruders Rücken,
 Dieser an des Vaters Knien;
 Und die sie am meisten drücken,
 Hat am liebsten es verziehn:
Ihre Mutter, die im Schooße
 hält ihr jüngstes schwebend frei,
 Daß von unversehnem Stoße
 Es nicht aufgerüttelt sei,
Und verstopft zur Noth die Klinzen,
 Daß nur oben bleibt ein Spalt,
 Wo der Mond hierdurch darf blinzen
 Und die Nachtluft streichen kalt.
Nun, auch dich in Schlummer wiege
 Der Bewegung Einerlei!
 Ob es schnecke, ob es fliege,
 Endlich ist es doch vorbei.
Vom Geholper ungestöret,
 Vom Gerassel ungeschreckt,
 Sei von süßem Traum bethöret,
 Bis ein Stoß am Ziel dich weckt;
Wie der Müller schläft so lange,
 Als die Mühle klnappernd geht,
 Und sein Schlaf kommt aus dem Gange,
 Wann sie still in ihrem steht.
Oder wie der müde Bauer
 In der Kirch' hält Sonntagsruh,
 Und erwacht, wann sein Erbauer
 Auf dem Pult das Buch schlägt zu.
Und in den Studentenjahren,
 Wo der Kopf voll Träume steckt,
 Hab' ich an mir selbst erfahren,
 Wann der Schlaf am besten schmeckt.
In der Sommermittagshitze
 Hatt' ich ein Kollegium,
 Und ich saß auf meinem Sitze,
 Hörte zu andächtig stumm.
Doch die Fassungskraft verstrickte
 Sich im Vortrag und entschlief;
 Und der Kopf, der tief schon nickte,
 Dach noch, er denke tief.
Vorgetragnen Gründen zollte
 Jedes Nicken Beifall aus;
 Wenn der Kopf auch schütteln wollte,
 Ward ein Nicken nur daraus.
Herrliche Gedankenfäden
 Spannen sich im Traume fort,
 Und ich habe schönre Reden
 Nie gehört an solchem Ort.
Und so täglich ward's gehalten,
 Und solang der Rede Schwall
 Schwoll mit tönenden Gewalten,
 Schlief ich wie am Wasserfall;
Bis mein Nachbar seine Feder
 Stauchte aus am Schreibepult,
 Und der Zaubrer vom Katheder
 Abtrat, der mich eingelullt;
Da erwacht' ich, und wie jeder
 Andre ging ich auch nach Haus,
 Nur die ungetauchte Feder
 Braucht' ich nicht zu stauchen aus.
Damals nahm ich mir im Stillen
 Vor (und halten kann ich's jetzt),
 Daß, wenn einst der Götter Willen
 Aus den Lehrstuhl mich gesetzt,
Und ein Hörer wollte schlafen
 Meiner Weisheit, wollt' ich dran
 Mich nicht ärgern, noch ihn strafen,
 Weil ich's selber auch gethan.
Und die Schuld, wenn ich in meiner
 Weisheit jetzt bin minder tief,
 Ist gewiß, weil ich statt einer
 Lehrstund' alle nicht verschlief.
Wieviel lästiges Geplapper
 Wäre mir vorbeigesummt,
 Wie im Traume das Geklapper
 Meiner Kutsche mir verstummt.

Anmerkungen

Klinze

sehr schmale Spalte, Ritze

siehe auch die Erklärung im Duden