Wirklichkeit und Bild

Sagt mir nichts von Landschaftsbildern,
 Nichts von Frucht- und Blumenstücken,
 Oder was sie sonst noch schildern,
 Eine leere Wand zu schmücken.
Wie erblassen deine Farben,
 Malerei, vor der Natur!
 Bäche, Bäume, Blüthen, Garben
 Will ich sehn aus meiner Flur.
Will ich sehn mit diesen Augen,
 Die daraus so lange schon
 Jugend in die Seele saugen,
 Seit die Jugend ist entflohn.
Und wenn nicht mehr diese taugen
 Aufzufassen deinen Glanz,
 O Natur, so schau'n die Augen
 Meiner Kinder ihn noch ganz.
Von des Frühlings Blüthenkränzen
 Zu des Herbstes Fruchtgewind,
 Deine Landschastsbilder glänzen
 Keinem lieblich wie dem Kind.
Wie die Blume zierlich nicket,
 Die der Schmetterling besucht,
 Und der Vogel flüchtig picket
 Von der halbgereiften Frucht!
Möget ihr die Silfen haschen,
 Und die Glöckchen an den Quellen
 Pflücken, oder Beeren naschen,
 Und dem Vogel Sprenkel stellen!
Was ihr fliegen seht und schweben,
 Was ihr reisen seht und blühn,
 Ist in eure Macht gegeben,
 Bis der Sommer wird verglühn.
Aber wenn den bunten Flinter
 Euch der strenge Frost entzieht,
 Dann entfalt ich euch im Winter
 Ein gemalt Naturgebiet.
Fremder Länder Schöpfungswunder
 Weben um euch einen Traum,
 Daß ihr den verlornen Plunder
 Eurer Gärten achtet kaum.
Nachts bei Licht im warmem Zimmer
 Blättert ihr im Bilderbuch,
 Freuet euch am Farbenschimmer,
 Und verzichtet auf Geruch.
Blumen mit so breiten Blättern,
 Daß ihr sie nicht pflücken könntet;
 Bäume welche zu erklettern
 Ihr den Affen wohl mißgönntet.
Vögel, wie ihr niemals sahet;
 Schade daß ihr sie nicht höret!
 Schmetterlinge -- leise fahet,
 Daß ihr nicht den Duft zerstöret!
Ei wer hat sie eingefangen,
 Ei wer hat sie aufgespannt?
 Welcher Zaubrer hat das Prangen
 Dieser Farben hergebannt?
Ja, als ihr im Grünen spieltet,
 Wildgewachs'nen Blumen gleich,
 Und den Zaun am Garten hieltet
 Für die Grenz' am Weltenreich;
Mußt ein unzufriedner wandern
 Fern nach unbekanntem Schatz,
 Für den Winter euch aus andern
 Ländern holen Lenzersatz.
Danket euch bei jedem Bildniß,
 Daß er euch erspart die Mühn,
 Selbst zu rennen in die Wildniß,
 Wo die lichten Wunder blühn;
Wo die grausen Ungeheuer
 Auch sich ringeln und sich blähn.
 Leichter könnt ihr Abenteuer
 Hier als Ritter Georg bestehn.
Will die Klapperschlange klappern?
 Schlagt sie aus die Klapper nur,
 Wie schon für vorlautes Plappern
 Mancher unter euch erfuhr.
Und die Leu'n und Tigerkatzen,
 Sehn sie euch gefährlich an?
 Leicht entgeht ihr ihren Tatzen,
 Wenn das Buch ihr zugethan.
Lachet über das Gezüchte,
 Das nicht wächst auf unsrer Flur!
 Kostet diese Tropenfrüchte,
 Aber mit den Augen nur!
Diese Blüth' ist zur Schlafhaube
 Dir, dem größten, nicht zu klein;
 Und in dieser Nuß, ich glaube,
 Wiegt ihr euer Schwesterlein.
Jetzt, ihr Kleinen, gehet schlafen,
 Sprechet euer Nachtgebet,
 Daß ihr träumt von weißen Schafen,
 Und nicht wilde Löwen seht!
Morgen frische Blumen prangen,
 Neue Falter schlüpfen aus,
 Und wir haben für den langen
 Winter Frühling gnug im Haus.
Wie die Winde mögen ändern,
 Schiffen wir mit jedem Tag
 Her und hin zu neuen Ländern,
 Holen solchen Lenzertrag. --
Ist nicht dieser Frühling reicher,
 Als der blüht auf unsrer Flur?
 Bei der Kunst gefülltem Speicher
 Brauchen wir nicht die Natur.
Unser Gärtchen wird uns ärmlich
 Scheinen gegen solche Pracht,
 Gleich dem Bettler, der erbärmlich
 Aus dem Königstraum erwacht. --
Sorge nicht mein junger Weiser!
 Ueber Nacht wird das vergehn,
 Wenn du erst die dürren Reiser
 Wieder siehst in Blüthe stehn.
Von den Augen wird dir's fallen,
 Und du merkest wo's gebricht;
 Denn es singen Nachtigallen
 Vor gemalten Rosen nicht.
Du vergissest herzlich gerne
 Deines Buches Tulpenbaum,
 Blühn die kleinen gelben Sterne
 Wieder an des Baches Saum.