Die goldene Luft.

In Mainz ist eine Straße
 Die goldne Luft genannt.
 Als einst von Gasse zu Gasse
 Die Pest die Stadt durchrannt,
 Und, was darin gewohnet,
 Hinraffte in die Gruft,
 Da blieb allein verschonet,
 Sagt man, die goldne Luft.
Und als die giftigen Lüfte
 Vertrieb der goldne Hauch,
 Erheiterten die Grüfte
 Der Stadt sich wieder auch;
 Ausgoß von dort allmählig
 Sich neue Bevölkerung,
 Und füllte bald unzählig
 Die Stadt mit Alt und Jung.
So ward mir jüngst erzählet
 Von einem, den ich mir
 Zum Führer hatt erwählet,
 Der zeigte mir die Zier
 Der Stadt, die alterthümlich
 Einst Deutschlands Schutz und Wall,
 Jetzt wieder pranget rühmlich
 Nach des Tyrannen Fall.
Die Pest, die hier gehauset,
 Wem ist sie nicht bekannt?
 Sie ist es, die durchgrauset
 Das ganze deutsche Land;
 Verschont ist nichts geblieben
 Von ihrem Moderduft,
 Bis daß sie ward vertrieben
 Von goldner Freiheit Luft.
Auf allen deutschen Fluren
 Seh' ich die Flecken noch;
 So trägt wohl auch noch Spuren
 Die Stadt vom alten Joch.
 Und wenn sie mehr noch trüge,
 Kein Wunder, da die Pest,
 Von der uns nur die Flüge
 Berührt, hier hatt' ihr Rest.
 Es ist ein gutes Zeichen,
 Daß auch schon hier sogar
 Sichtbar die Spuren weichen
 Des Uebels, das hier war:
 Ich sah die Ueberschriften
 Verlöscht an Thür und Thor,
 Die man mit welschen Schriften
 Geschrieben hie zuvor.
Es treten die verwischten,
 Die deutschen, neu heraus,
 Die wieder aufgefrischten,
 An jedes Krämers Haus;
 Und dort an jener Gasse
 Aus trübem Moderduft
 Hebt selbst die Schrift, die blasse,
 Sich wieder: goldne Luft.
Ich fasse bei dem Worte,
 O goldne Luft, dich an:
 Nun weh an diesem Orte,
 O goldne Luft, fortan,
 Daß deutscher Geist sich gießet
 Hindurch so voll und rein,
 Wie außen niedersließet
 Der alte deutsche Rhein.