Vorwort

zur ersten Auslage.

   Das Unternehmen, die poetischen Schöpfungen Dr. Rückert's
in einer Gesammtausgabe zu vereinen, rechtfertigt sich wohl
durch sich selbst. Der Dichter hat sich zu verschiedenen Zeiten
mit dem Plane einer solchen Sammlung beschäftigt, ohne ihn
zur Ausführung zu bringen. Was er selbst dabei beabsichtigte,
seiner Nation nicht bloß bruchstückweise, sondern in seiner To-
talität näher zu treten, ist auch der leitende Gedanke Derer
gewesen, die an seiner Stelle die übernommene Aufgabe zu lösen
versuchten. Daraus ergab sich die Ausdehnung und die Be-
schränkung derselben mit innerer Nothwendigkeit. Es mußte hier
alles das geboten werden, was der Dichter selbst während seines
Lebens nach und nach unter den verschiedensten Stimmungen des
Publicums in die Oeffentlichkeit gebracht hatte, aber auch nicht
mehr. Die reichen Vorräthe ungedruckter, großen Theils in
vollendeter Form hinterlassener Poesien durften hier nicht be-
rührt werden, wenn der eigentliche Plan der Sammlung nicht
gestört werden sollie. Nur die im vorigen Jahre publicirten
Lieder und Sprüche sind herangezogen worden, dagegen wurde
manches Lyrische übergangen, was nach dem Abschlusse der ge-
sammelten Gedichte in 6 Banden zerstreut, meist in periodischen
Schriften aller Art, erschienen ist, weil es sich innerlich und
äußerlich schwer anfügen ließ.
Ausgeschlossen blieben ferner alle jene Nachbildungen fremder
Originale, die neben ihrer eigentlich poetischen Tendenz auch noch
eine specifisch wissenschaftliche haben. Deshalb konnte weder
Amrilkais noch Hamasa berückfichtigt werden, obwohl Beide
vor einer großen Anzahl anderer, im Wesen damit identischer
Arbeiten bei dem deutschen Publikum Verbreitung gefunden haben.
Da es sich hier zunächst nicht um gelehrte Zwecke und Ge-
sichtspunke handeln konnte, da vielmehr alles darauf ankommt,
daß dem deutschen Volke ein möglichst bequemer Zugang zu
einem reichen Schatze der Poesie eröffnet werde, der ihm bis
jetzt noch großen Theils unbekannt geblieben war, so mußte
bei der Anordnung des Ganzen und Einzelnen nur die innere
Zusammengehörigkeit entscheiden, aber nicht die Chronologie.
In wie weit nun diese Aufgabe wirklich ihre entsprechende
Lösung gefunden habe, möge die öffentliche Stimme entscheiden,
jedenfalls wird man wenigstens die subjective Berechtigung des
hier gebotenen Versuches nicht verkennen. Es sei noch bemerkt,
daß dem Unterzeichneten der Beistand des Hrn. Dr. David
Sauerländer in Frankfurt am Main, eines umfassenden und
tief eindringenden Kenners der Poesie Fr. Rückert’s, von großem
Werthe und in vielen Fällen maßgebend gewesen ist.

   Breslau, im October 1867.

Heinrich Rückert.