Liebesromanze von Fräulein Luft und Junker Duft.

 Es kam das zarte Fräulein Luft
  Vom Himmel her entstiegen,
  Und sah in Blumenwiegen
  Den zarten Knaben liegen,
  Den zarten Knaben Duft.
 Es sah das zarte Fräulein Luft
  So hold und so verschwiegen
  Die Blättlein her sich schmiegen,
  Sich um das Kind herbiegen
  So zierlich abgestuft.
 Da rief das zarte Fräulein Luft,
  Und ließ sein Stimmlein fliegen:
  Zu dir komm' ich gestiegen;
  Wie lange willst du liegen
  In deiner stummen Gruft?
 Da fprach der zarte Knabe Duft,
  Der bis daher geschwiegen;
  Still blieb er dabei liegen
  In seinen sanften Wiegen,
  Und sprach: Wer ist's der ruft?
„Ich bin das edle Fräulein Luft,
  Es sei dir nicht verschwiegen;
  Ich, die kann gehn und fliegen
  Und mich auf Flügeln wiegen,
  Ich bin's, mein Junker Duft.“
  Da lächelte der Knabe Duft,
  Und blieb nicht ruhig liegen
  In seinen engen Wiegen;
  Sein Haupt thät er vorbiegen:
  Was willst du, Fräulein Luft?
„Ich will, o süßer Junker Duft,
  Aus deinen engen Wiegen
  Will ich dich lehren fliegen,
  Und Flügel sollst du kriegen
  Wie ich, das Fräulein Luft“
 Da lächelte der lose Duft
  So fein und hold-verschwiegen:
  Ich habe längst vom Fliegen
  Geträumt, vom Flügelkriegen,
  In meiner stillen Gruft.
 Voll Lüsternheit der Knabe Duft
  War seinen blum'gen Wiegen
  Mit halbem Leib entstiegen;
  Es dachte schon zu siegen
  Das list'ge Fräulein Luft.
 Da duckte doch der kleine Schuft
  Zurück sich in die Wiegen,
  Sich tiefer drein zu schmiegen:
  Und willst du mich betrügen,
  O holdes Fräulein Luft?
 In meiner engen stillen Gruft
  Konnt' ich so ruhig liegen,
  Mich sanft auf Blättlein wiegen;
  Wohin soll ich nun fliegen
  Mit dir, o Fräulein Luft?
„Durch Feld und Wald, durch Berg und Kluft,
  Wo schöne Schätze liegen,
  Die Brünnlein nie versiegen;
  Dahin nun sollst du fliegen
  Mit mir, o Junker Duft,
„Da sollst du, holder Junker Duft,
  Zum Himmel hoch gestiegen,
  Zu sehn, zu hören kriegen,
  Was ewig hier verschwiegen
  Dir blieb' in deiner Gruft.
„So folge mir, die dich beruft,
  Und laß dein furchtsam Schmiegen;
  Sonst muß ich weiter fliegen,
  Und du mußt ewig liegen
  In deiner Gruft, o Duft!“
 Hold schmeichelte das Fräulein Luft
  Und ließ ein Seufzen fliegen:
  Ich will dich nicht betrügen;
  O komm aus deinen Wiegen,
  Sonst sterb' ich, süßer. Duft!
 Doch sträubte sich der Knabe Duft,
  Da ging es an ein Kriegen;
  Es stritten um die Wiegen,
  Darin er wollte liegen,
  Sich Duft und Fräulein Luft.
 Da wehrte noch der kleine Schuft
  So streng sich und gediegen;
  Er mußte doch erliegen,
  Es wußt' ihn zu besiegen
  Das starke Fräulein Luft.
 In Blättlein hoch und tief gestuft
  Wie er sich mochte schmiegen,
  Sie wußte sich zu biegen,
  Und ihn hervor zu kriegen
  Aus der geheimen Schluft.
 Da faßte sich ein Herz der Duft:
  Nun lebet wohl, ihr Wiegen!
  Sollt' ich im Kuß versiegen,
  Keck will ich jetzt mich schmiegen
  An meine Freundin Luft.
 Ihn küßt' und nahm in Arm die Luft,
  Stolz war sie auf ihr Siegen;
  Doch traurig mußten liegen
  Die Blättlein, deren Wiegen
  Entnommen war der Duft.
 Hinflogen freudig Duft und Luft;
  Und es ist uns verschwiegen,
  Ob sie zum Himmel stiegen,
  Ob noch zusammen fliegen
  Durch Feld und Wald und Kluft.