Episteln

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Wenn ich allhier, im Schooß der ländlichen Stille mich wiegend,
 Leise gelullt vom Hauche des nie so lenzlichen Lenzes,
 Dich ein Weilchen vergäß', o Freund, den nie ich vergesse,
 Wohl zu entschuldigen wär' es, es wäre von selber entschuldigt,
 Daß da rings die süßeste Hand auf grünende Blätter
 Ihre Geheimnisse schreibt mit frisch erglänzenden Tinten,
 Ich nicht wagte mit blasserer Tinte ein welkes Papierblatt,
 Freund, zu besudeln für dich, um dich zu befragen: Wie lebst du!
 Doch daß du, der Tag für Tag mit geschäftiger Feder
 Soviel Zettel und Zettelchen schreibst und verstreuest die Stadt durchs
 Auch nicht eins von den allen vertrautest irgend dem Flügel
 Eines wandernder Wests, um als willkommener Bote
 Mir's zu bringen; womit entschuldigen willst du's und kannst du's?
 hältst du, ärztlicher Mann, denn jeglichen anders verwandten
 Strich der Feder für Sünde, der nicht für Schnupfen und Halsweh
 Kritzelt auf ein Recept barbarisehe Zauberformeln?
 Wär' ich ein Arzt, ich wär' es allein für den traurigen Winter,
 Wenn die Lüste sich wölkten, und alles so wild durcheinander
 Stürmete, hagelte, schneite und regnete, säß' ich und braute
 Ebenso durcheinander die Kräft' und Säfte der Kräuter,
 Erden und Salze nach Lust, dann schickt' ich sie, wem es behagte,
 Rasch in den Leib hinab, daß drinnen es grimmte und wühlte.
 Und sie machten Gesichter so herb und trüb wie der Himmel.
 Aber wenn nun erblaute die Luft nnd ergrünte die Erde,
 Draußen flössen die Quellen, die ewigen Heilkraftschwangern,
 5chlöss' ich die staubigen Büchsen, und bräche die Gläser in Scherben,
 Opfert' im letzten Feuer des Ofens schnell die Papiere,
 Ließ' an der Sonn' eintrocknen das Tintenfaß, doch die Tinte
 Stammt dem Geruche der Pflaster mit Thau von den Händen zu waschen,
 Eilt' ich auf's Land, und sagt' an der Thür im Fluge den Kunden:
 Seht nun hinaus und heilet euch selbst! ich bin nur ein Pfuscher:
 Wen der Mai nicht kann heilen, der sterb' und lass mich in Frieden.
  Freund, dem die Schlangengewinde der Hypochondrie um die trüben
 Augen so dicht sich ziehn, daß du gar träumest von Blindheit!
 Komm und sieh nur, wie herrlich aus unseren Fluren es maiet,
 Komm und heile dich selbst, und mich von meinem Verlangen!
 Alles ist hier, was Sinne erfreun kann, alles in Fülle,
 Wenn nur, das Herz zu erfreun, du dich mir bringst und die Freundschaft.
 Alle Blumen sind da, das Auge mit Farben zu reizen,
 Alle Lüfte sind reg, dem Gefühl mit Berührung zu schmeicheln,
 Alle Töne sind wach, das Ohr zu füllen mit Wohllaut;
 Weihrauch dampfend dem Sinn des Geruchs, wetteifern die Stauden.
 Und wenn noch dem Geschmacke, dem ungestümen, der feinre
 Lenz die Befriedigung weigert, so ist vom vorigen Herbst her
 Auch für den derberen Gast mir gesorgt in Küch' und in Keller.

Anmerkungen

Epistel– als poetische Gattung

Die Versepistel hat seit der Antike als literarische Gattung lehrhaften, satirischen oder erotischen Inhalts und als beliebte Form der Gelegenheitsdichtung die unterschiedlichsten Ausprägungen erfahren. Wikipedia: Episteln