Jetzo blickt sie nach dem Abendrothe

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Jetzo blickt sie nach dem Abendrothe,
 Ob mit ihm erscheinen wird der Bote,
 Ihr des Liebsten ersten Brief zu bringen:
 »Hättest du doch meiner Sehnsucht Schwingen!«
 Und es sinkt die Nacht, der Bote weilet;
 Und er kommt, dem sie entgegeneilet.
 Und sie hat des Liebsten Brief erhalten,
 Säumet auseinander ihn zu falten,
 Muß die Aufschrift, ihren Namen, lesen,
 Der ihr selber nie so schön gewesen.
 Und nun ruhen aus der Schrift die Augen,
 Alle Züge liebend einzusaugen
 Die für sie des Liebsten Hand gezogen,
 Jede Zeil' ein Liebesregenbogen
 Jedes Wort ein lichter Stern im Blaue,
 Jeder Buchstab' eine Ros' im Thaue
 So verschönt zu einer Liebesblüthe
 Sich das Blatt dem liebenden Gemüthe.
 Und nun sitzt sie gleich zu schreiben nieder.
 Gib, o Nacht, dein thauiges Gefieder
 Ihrem Blatt, daß mit dem Morgenrothe
 zurück geflügelt sei der Bote!
Herz! wie soll die Ungeduld ich nennen,
 Da von ihr dich nur zwei Tage trennen,
 Da von ihr dich trennen nur zwei Meilen,
 Daß von ihrer Hand nach zweien Zeilen
 Geizest so mit ungestümem Drange?
 Was sie schreiben wird, du weißt es lange;
 Und sie weiß es wohl, was du wirst schreiben:
 Und so könnt' es billig unterbleiben.
 Freilich, Neues hat sich nicht begeben;
 Doch, daß Alles steht beim Alten eben,
 Dieses wissen, das sich stets vom neuen
 Sagen, kann nur Liebende erfreuen.
 Ja, es ist kein andrer Trost geblieben
 Zweien die sich fern sind und sich lieben,
 Als, der Seele Jubel und die Klagen,
 Was der Mund nicht kann dem Munde sagen,
 Einem stummen Blatt es anvertrauen,
 Schreiben es und es geschrieben schauen.