Erntevögelein nach den theueren Jahren 16 und 17.

  Ich hört' ein Sichlein klingen, wohl klingen durch das Korn;
Ich hört' ein Vöglein singen: ,,Vorbei ist Gottes Zorn.«
  Das Sichlein klang so köstlich, das Vöglein sang so laut;
Das Sichlein klang so tröstlich, das Vöglein sang so traut.
  „Ich Vöglein in den Lüften bin frei von ird'scher Noth;
Ich find in Waldesklüften wohl auch mein täglich Brot.
  Doch mehr als dunkle Wälder preis' ich an diesem Tag
Die hellen Aehrenfelder mit reifem Erntertrag.
  Ich hörte vormals klagen, als man das Korn hier schnitt,
Ich fing selbst an zu zagen, als litt' ich selbst damit.
  Ich sah sie so sich grämen; ein einzig Körnlein nur
Hätt' ich nicht mögen nehmen, da man das Korn einfuhr.
  Ich wollte, da sie draschen, und gar so wenig blieb,
Mir auch kein Körnlein haschen, um nicht zu sein ein Dieb.
  Wohl hätt' ich einem Reichern recht viel genommen gern,
Der aber hielt in Speichern verschlossen seinen Kern;
  Und wenn ein armes Knäblein stand bettelnd vor der Thür,
Reicht' er vom schwarzen Laiblein ein dünnes Stückchen für.
  Ich sah die armen Knaben drauf in die Wälder gehn,
Nach wilden Wurzeln graben, das war hart anzusehn.
  Ich konnt' es wohl ermessen, sie waren Brot gewohnt,
Und mit dem Wurzel-essen war ihnen schlimm gelohnt.
  Die Würzlein schmeckten bitter, der Hunger war der Koch,
Die Kindlein und die Mütter aßen die Würzlein doch.
  Als nun sich Beerlein streiften mit rothem Glanz im Wald
Und überroth dann reiften, da freut' ich mich alsbald
  Des armen Völkleins willen, daß Gott es nicht verließ,
Den Hunger ihm zu stillen, die Beerlein wachsen hieß.
  Da sah ich einzeln laufen auch Kindlein hie und dar,
Doch nicht in hellen Haufen, wie ich's gedacht fürwahr.
  Wie? können sie entrathen das süße Waldgericht?
Da hört' ich, daß sie's thaten aus Furcht vor einem Wicht.
  Es scheuchte sie der Jäger, daß nicht zertreten sei
Der Wald, verstört die Läger des Wildes vom Geschrei.
  Ich war vor diesem Falle dem Jäger schon nie grün,
Jetzt hätt' ich Gift und Galle gar mögen auf ihn sprühn.
  Da flog ich jeden Morgen vom Wald nun aus zu Feld,
Zu sehn, ob noch geborgen die Hoffnung sei der Welt.
 Ich zählte jede Aehre, die auf dem Acker stand,
Alsob sie selbst mir wäre des Lebens Unterpfand.
  Ich zählte alle Aehren, und überschlug im Flug,
Ob auch, das Land zu nähren, der Aehren wären gnug.
  Ich sah genug der Aehren, sie wuchsen schön heran;
Doch langsam schien's zu währen, wenn Hungernde sie sahn.
  Ich sah auch Blumen drunter, das mühte sonst mich nie,
Ich dacht' es würde bunter nur das Getreid durch sie;
  Doch heuer hätt' ich gerne die Blumen ausgerauft,
Und einem Samenkerne ein Plätzlein mehr erkauft.
  Für sanften Regenschauer sang ich sonst Gottes Lob;
Doch jetzt macht' er mir Trauer, weil er die Ernt', aufschob.
  Und auch vor den Gewittern, davor mir nie ward leid,
Begann ich jetzt zu zittern für's zitternde Getreid.
  Ihr denkt, daß für mein Nestlein hab' etwa mir gegraut?
Wißt, daß aus keinem Aestlein ich mir hab' eins gebaut.
  Ach Gott, ich sah zerschlagen die Frucht in einem Gau,
Als man die Erntewagen schon rüstete zur Schau.
  Nun, Gott sei, der im Schmettern der Wetterwolken wohnt,
Gelobt, daß er mit Wettern hat diesen Gau verschont.
  Die Sicheln hör' ich klingen, so freudig ist der Klang:
Darüber soll sich schwingen zum Himmel mein Gesang.
  Ihr Menschen, die ihr erntet, und dazu schweiget noch,
Ich denke, daß ihr lerntet den Werth der Halme doch!
  Ihr aber,seid vom Qualme der Noth noch so erstickt,
Daß ihr zum Schnitt der Halme kein Lied zum Himmel schickt.
  Ja, laßt die Zunge schweigen, daß sie die Hand nicht stört;
Ich will für euch den Reigen anstimmen, daß ihr's hört.
  O leset von dem Grunde die einzlen Hälmlein auf,
Und traget sie zu Bunde, und traget sie zu Hauf!
  Nun sind so nah die Garben den Scheuern, körnerschwer;
Und die bis jetzt nicht starben, die sterben jetzt nicht mehr.
  Laßt von des Grams Beschwerden aufathmen nur die Brust:
Ihr werdet satt nun werden, und satt werd' ich vor Luft.
  Gott, dessen Gnadenleuchte am Himmel wieder wacht,
Gott, der den Hunger scheuchte durch seine Segensmacht,
  Er möge nur die Seuchen, die mit dem gift'gen Hauch
Her hinter'm Hunger keuchen, nun gnädig scheuchen auch;
  Daß auf dem Erdenkreise nun wieder Leben sei,
Und wenn ich ihn durchreise, ich mich kann freun dabei.
  Ich hab' an diesen Orten die Ernte nun gesehn,
Nun muß ich da und dorten sie auch zu sehen gehn.
Die vollen Garben nicken, ihr habet jetzt genug;
  So darf ich denn wohl picken ein Körnlein auch im Flug.
Wollt es mir nicht versagen zu meines Singens Lohn!
  Ich will's zum Opfer tragen hinauf an Gottes Thron;